Ein Theater im Stadtteil
Eine Premiere ist ein besonderes Ereignis für ein Theater, wird doch damit eine neue Serie von Auftritten eines Stückes eingeleitet. Nicht selten zeigt sich bereits an diesen besonderen Tag, ob ein Stück beim Publikum ankommt oder eben nicht. In diesem Beitrag soll die Premiere zum Anlass genommen werden, sich einmal etwas tiefergehend mit der Bedeutung eines Theaters im Stadtteil sowie der kulturellen Teilhabe auseinanderzusetzen.
Bestimmt nicht unberechtigt wird es sein, wenn kulturelles Leben im ersten Anlauf oft in Verbindung gebracht wird mit Goethe, Mozart, Schiller oder ähnlichem. Doch kulturelles Leben ist mehr, denn Kultur verbindet, oder wie es Thibaut de Champris, Direktor des Institut français in Mainz bereits 2013 in einem Beitrag über Deutschland und Europa formulierte: „Die Kultur kann der ‚Kitt‘ einer Gesellschaft sein …“.
Kulturelles Leben im Wandel und für alle, warum Kulturelles im Alltag wichtig ist Doch auch in der Gegenwart ist man sich der Bedeutung sehr wohl bewusst. In einem Grundsatzpapier des Deutschen Bundestags wird zum Beispiel ausgeführt: „Durch Kulturelle Bildung werden grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben, die für die Persönlichkeitsentwicklung, die emotionale Stabilität, Selbstverwirklichung und Identitätsfindung von zentraler Bedeutung sind …“. Der Vizepräsident der EU-Kommission Margaritis Schinas geht sogar noch einen Schritt weiter und bringt es auf den Punkt: „…Kultur ist wichtig für gesunde und engagierte Demokratien“. |
Kulturelles Leben im Wandel Schnell kommt man auch auf Fragen danach, wie wir mit Fake-News und „Alternativen Fakten“ in den sogenannten Sozialen Medien umgehen. In Studien wird schon länger untersucht, welche Zusammenhänge zwischen dem demokratischen Leben in einer Gesellschaft und der Teilhabe an Kultur bestehen. Ist z.B. ein Rückgang der Hasskriminalität durch kulturelle Angebote nachweisbar? Einige Studien beantworten dies bereits mit „Ja“. Wie wollen wir also jetzt und in Zukunft zusammenleben, wie erhalten wir ein respektvolles demokratisches Miteinander? |
Kulturelle Teilhabe für alle und auf kurzem Wege Es wird also für alle wichtiger denn je, auch die Rolle kultureller Veranstaltungen bei gesellschaftlichen Themen zu verstehen. Vor allem müssen diese allgemein präsent und gut erreichbar sein. Leider sind die Möglichkeiten recht unterschiedlich verteilt, nicht nur im Vergleich zwischen Stadt und Land. Auf dem Weg zu mehr kultureller Teilhabe stellt sich daher die Frage: Wie kann es gelingen, auch in einem überschaubaren Bremer Stadtteil wie Woltmershausen oder Rablinghausen, Barrieren zu senken und Zugänge zum kulturellen Leben zu ermöglichen für einen möglichst großen Kreis? Anhand des folgenden Beispiels soll dies ansatzweise dargestellt werden. |
Eine Premiere auch für das kulturelle Leben? Schon gleich nachdem sich der Vorhang öffnet, wird deutlich, das Konzept spricht an. Vielleicht auch, weil an ein nicht unbekanntes Familienproblem angeknüpft und die Handlung durch mitreißend live gesungene Hits unterstützt wird. Bekannte Songs wie z.B. „So schmeckt der Sommer“, „Holding out for a hero“, „1000 und 1 Nacht“ sowie diverser weiterer Songs runden das scheinbar zum Scheitern verurteilte Sommererlebnis zweier Pärchen ab. Das Publikum belohnt jedenfalls laufend mit Beifall und klatscht schon gleich zu Beginn begeistert den Rhythmus der Songs mit, was sich bis zum Ende fortsetzt. |
Wie im täglichen Leben? Schnell wird im Stück aber deutlich, dass beide Partner im tiefsten Inneren wohl immer noch aneinander und an der gemeinsamen Vergangenheit hängen, zumal die Charaktere eigentlich gut zusammenpassen. Das wollen sich aber beide nicht eingestehen, was im Laufe des Stücks zu entsprechenden Dialogen führt. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die beiden trotz neuer Partnerschaft - wenn auch auf getrennten Wegen - nach Rügen gefahren sind, also an den Ort, an dem sie einst glücklich ihre Sommerurlaube verbracht hatten. |
Theaterintendant Kay Kruppa verfasste das Stück und Mark Gelhart sorgte für die Inszenierung. Es spielt sich in einem liebevoll gestalteten und Optimismus ausstrahlenden Bühnenbild ab: Zwei helle Ferienwohnungen, Wand an Wand, ohne dass die beiden Wohnparteien davon etwas merken. Zumindest zu Beginn verleiht das der Situation natürlich eine besondere Dynamik. Die gewählten Charaktere, die den vier beteiligten Schauspielern wie auf den Leib zugeschnitten scheinen, stützen die eher einfache Handlung, ohne ins Kitschige abzudriften. Da ist Waltraud bzw. Walli genannt, die von Ramona Schlenker gespielt wird und sehr ordnungsliebend ist. Womit sie aber das genaue Gegenteil von Jacki ist, die von Miriam Distelkamp dargestellt wird und eher gelassen mit dem Alltag im Leben umgeht. Holger, von Kai Hochhäusler gespielt und seit 9 Monaten von Walli getrennt, kann mit der Art wie Jacki auf ihr Leben schaut, trotz neuer Partnerbeziehung nur eher schlecht als recht umgehen. Und dann ist da noch Justin, gespielt von Marc Gelhart, der über seine eigenen Witze am lautesten lachen kann. Von seiner Lebenseinstellung her passt er eher zu Jacki. |
Und so kommt es in der Tat, wie es wohl kommen musste. Beim Abba-Titel „The Winner Takes It All“ zeigen die Kontrahenten, dass sie mit ihrer (voreiligen) Trennung bzw. neuen Beziehungen einen Fehler begangen haben und ziehen die Konsequenzen. Beim Happy End gruppieren sich die Partnerrinnen und Partner eben doch neu bzw. wieder nach altem Muster. Womit am Schluss dann noch so etwas wie „Und was folgt aus der Geschicht´ …“ entsteht. „Die liebe ist ein seltsames Spiel“, war auch solch ein passendes Lied aus der Vorstellung. |
Kulturelle Teilhabe im Stadtteil, Kitt für eine Gesellschaft auch in Pusdorf? Kulturelle Teilhabe verbindet Menschen, schafft Bindungen zwischen Menschen und ermöglicht gemeinsames Verständnis sowie kollektive Identität. Sie hilft dem Einzelnen dabei, sich so zu verhalten und miteinander vernünftig umzugehen, dass Konflikte friedlich gelöst werden können. Sie kann vermitteln, was gut oder weniger gut ist, vielleicht sogar was falsch ist, vor allem aber auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Dazu kann auch ein Theater im Stadtteil so manches bereithalten, fängt man offen, unvoreingenommen, ohne „Denkverbote“, vielleicht auch etwas niederschwelliger, einfach mal an. Dann kann z.B. ein Stadtteil wie Pusdorf sich glücklich schätzen, wenn es dort auch ein Theater wie das Boulevardtheater gibt, denn es ist ein wichtiger Baustein für die Teilhabe am kulturellen Leben für alle und vor allem auf kurzem Wege. Ich hoffe, wir sehen uns demnächst im Theater im Stadtteil, denn auch das Boulevardtheater braucht Zuschauende. |
Ein Beitrag von Kurt Eblinger, Juli-August 2025 |