Angedenken an unrühmliche Zeiten auch in Pusdorf
Im Juli 2022 wurde erstmals auch in Woltmershausen ein "Stolperstein" zum Gedenken an die Opfer der NS-Zeit verlegt. Denn auch unser Stadtteil ist leider von diesem Kapitel der Geschichte nicht verschont geblieben. Der erste Stolperstein in Pusdorf wurde Johann Schmid gewidmet, der in der Huchtinger Straße 42 wohnte. Lesen Sie nachfolgend seine Biografie und ergänzende Informationen zum Projekt.
Ein Stolperstein für Johann Schmid aus Pusdorf Johann Schmid wurde am 19.9.1882 in Hoflenz geboren, einem kleinen Dorf im mährischen Sudetenland, Bezirk Hohenstadt, heute tschechisch: Mlýnický Dvur. Johann war das älteste von sieben Kindern des Werkführers Johann Schmid und seiner Ehefrau Maria, geb. Bergmann. Früh musste er mit dem Vater in die Fabrik, eine Färberei, um zum Überleben der Familie beizutragen. Mit 22 Jahren verließ Johann sein Elternhaus und fand eine Anstellung in einer Gummifabrik in Hamburg-Harburg. Ab 1906 (1907?) war er in Bremen gemeldet, 1921 wurde er eingebürgert. 1909 heiratete er Maria Seidelmann, die auch aus dem Sudetenland stammte, geboren am 17.9.1883 in Neudörfel/Bez. Senftenberg/Böhmen. Vater: Heinz Seidelmann, Mutter Anna, geb. Werner. Johann und Marie Schmid waren katholisch getauft, Johann Schmid wird später in der EMK als „Dissident“ geführt. Das Ehepaar wohnte von 1915 an in der Wartburgstraße 102. Dort wurde 1909 die Tochter Gertrud Anna geboren. (1913/14 lt. Adressbuch in der Gustav-Adolf-Straße 16. Frau Schmid lebte mit der Tochter – während des ersten Weltkriegs - für einige Jahre in der alten Heimat Neudörfel/Linsdorf – heute Těchonín - und kam 1919 nach Bremen zurück?). Johann Schmid nahm ab 1915 am Ersten Weltkrieg teil, geriet in russische Gefangenschaft und kehrte erst 1919 nach Bremen zurück. Seine Ehefrau Marie schrieb später: „Er hatte die Revolution unter Lenin mitgemacht und kam als bewusster Marxist nach Deutschland zurück.“ Seit 1904 war Schmid in der SPD gewesen, nun wurde er Mitglied der KPD. Schmid betätigte sich auch als Kassierer und Delegierter in der Baugewerkschaft, gehörte dem Arbeitergesangverein und der „Roten Hilfe“ an. 1929 baute die Familie ein Haus in der Huchtinger Straße 42. Bereits zuvor, im Jahr 1920, wurde das zweite Kind, Sohn Walter, geboren. „In der Familie war Johann Schmid ein ruhiger Mann und seinen zwei Kindern ein selbstloser Vater“, so Marie Schmid über ihren Mann. Von 1940 bis zu seiner Verhaftung 1943 arbeitete Johann Schmid bei Borgward/Werk II in Hastedt, zuletzt als Dreher an der „Revolverbank“ bei Meister Eichem und Vorarbeiter Pundsack in 10-Stunden-Schichten, Stundenlohn -,98 RM, Monatseinkommen 254,80 RM. 1941 wurde Sohn Walter an der Ostfront so schwer verwundet, dass er nach langem Leiden im Münchener Kriegslazarett 1943 starb. „Johann Schmid hatte den Krieg immer gehasst und war Gegner des Hitler-Faschismus. Durch das schwere Leiden des geliebten Sohnes, welcher 2 ½ Jahre dahin siechte (Lungensteckschuss) wurde der Hass noch stärker … Auch auf den Borgward-Werken tat er den ausländischen Kriegsgefangenen jede Gefälligkeit, die eben möglich war. Für ihn war klar und unzweideutig, dass Faschismus und Militarismus den Tod des deutschen Volkes bedeuteten und schwersten Lasten anderer Völkern zufügte“. Schmids illegale Aktivitäten wurden verraten, vermutlich durch Denunzianten auf seiner Arbeitsstelle: Johann Brinkmann, Herminenweg 5, Heinrich Steinbeck, Werrastraße 11, Vorarbeiter Johann Meyer, Arbergen, Hollerstraße 262 und Dreher Fritz Scheer, Salzhornstraße 281, werden in den Akten genannt. Am 5.10.1943 verhaftete die Gestapo Johann Schmid. Man hatte ihn zu Beginn seiner Haft fünf Tage und Nächte hier in Bremen im Polizeigefängnis geprügelt und misshandelt, um die Aussage zu erzwingen. Die Stärke der Gestapo bestand in der Misshandlung dieses 60-jährigen, niemals vorbestraften Mannes. |
Die Familie sah ihn das letzte Mal am Begräbnistage seines Sohnes, "wo er in Gestapo-Begleitung anwesend war“, schreibt die Ehefrau. Am 14. April 1944 wurde Johann Schmid ins Zuchthaus Bremen-Oslebshausen (siehe nebenstehendes Foto vom Landesamt für Denkmalpflege) überstellt, wo er bis zum 28. August 1944 einsitzen musste. Während dieser Zeit verurteilte ihn das Sondergericht Bremen zu 5 Jahren Zuchthaus und Ehrverlust wegen Landesverrats, insbesondere wegen „fortgesetzten Abhörens feindlicher Sender“ und weil er „einen Soldaten der deutschen Wehrmacht zur Fahnenflucht angeregt“ habe (Urteil vom 14.6.1944, Zeugen M., S. und B.). Letzteres bestritt Schmid: Er habe lediglich gesagt, dass er in russischer Gefangenschaft gut behandelt worden sei. Am 28. August 1944 wurde Johann Schmid in das Zuchthaus Hameln überstellt. Er besaß nicht mehr viel: „1 grüner Lodenmantel, 1 gr. Herrenhut, 1 grauer Maßanzug, Unterwäsche, Hose, Hemd, Strümpfe, 1 Paar schwarze Lederhandschuhe, 1 Paar braune Lederhandschuhe, Oberhemd, Kragen, Schlips“. Die Kleider wurden im Innenhof des Zuchthauses verbrannt, nachdem Johann Schmid 8 Monate später dort gestorben war. Johann Schmid ist laut Unterlagen des Standesamts Hameln am 14.4.1945 an Durchfall und Herzschwäche verstorben. „Doch Hunger, Ungeziefer, Fehlen von Kleidung und die schlechte Unterkunft in den feuchten Kerkerzellen machten ihn krank. "Auch seelisch war er sehr herunter, da zum Tode des Sohnes auch noch das Verlieren sämtlicher Habe gekommen war.“ Johanns Ehefrau bezieht sich im letzten Satz darauf, dass ihr Haus beim 117. Luftangriff auf Bremen - am 26.11.43 - so stark beschädigt worden war, dass die Familie umziehen musste. Bei diesem Angriff wurden auch eine ganze Reihe von Nachbarn verwundet. Erst 1951 konnte die inzwischen verwitwete Marie Schmid in das wieder hergestellte Haus in der Huchtinger Straße einziehen. Sie starb 1955.
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Informationen zum Projekt "Stolpersteine" Das Projekt "Stolpersteine" des Bildhauers und Aktionskünstlers Gunter Demnig besteht seit 1995. Es erinnert in Deutschland und im europäischen Ausland an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft. Seit 2004 gibt es dieses Projekt in Bremen und eben seit Juli 2022 auch einen Stolperstein in Woltmershausen. Schon länger gab es auch in Bremen Überlegungen, wie man das Leben jener Menschen symbolisch sichtbar machen könnte, die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden: Juden, Sinti und Roma, Opfer der "Euthanasie", politisch Verfolgte, Jehovas Zeugen und Homosexuelle. Da die Erinnerung an diese Menschen - nicht nur in unserer Stadt - mehr und mehr verblasst, wurde das Projekt Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig im Jahr 1992 ins Leben gerufen, um dem Vergessen entgegen zu wirken. Die Bezeichnung "Stolpersteine" wurde vom Bildhauer Gunter Demnig geprägt. Es handelt sich dabei um 10 x 10 x 10 cm große Betonquader mit einer Messingtafel, die in den Bürgersteig vor jenen Häusern eingepasst werden, in denen die Opfer einmal zu Hause waren. Stolpern kann und soll man nur im übertragenen Sinn. Die Inschrift der Tafel gibt Auskunft über ihren Namen, ihr Alter und ihr Schicksal. Ehrenamtlichem Engagement ist es zu verdanken, dass die hierfür erforderliche Recherche von Opferdaten und die Sammlung von Informationen zu einzelnen Opfergruppen und Lebenswegen geleistet werden konnten. Das Projekt gibt es nicht nur in Bremen. Stolpersteine wurden und werden in Deutschland sowie in 28 weiteren europäischen Ländern verlegt. Sie gelten als das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Träger des Projekts in Bremen sind der Bremer Verein "Erinnern für die Zukunft e.V." und die Landeszentrale für politische Bildung Bremen in Kooperation mit dem Initiativkreis Stolpersteine Bremen. Sie verfolgen das Ziel, auch Bremen in das Kunst- und Erinnerungsprojekt Stolpersteine von Gunter Demnig einzubeziehen. |
Weitere Infos zum Projekt "Stolpersteine":
- Internetseite der Landeszentrale für politische Bildung Bremen
- Internetseite des Projektes in Bremen
- Internationale Internetseite des Projektes